Wenn man als Freie Rednerin Kinderwillkommensfeste begleitet, geht es uns bei den freien Redner:Innen immer auch ein bisschen um das Gesamtpaket Familie, Erziehung, Liebe, „beim Aufwachsen zugucken“. Deshalb schreibe ich hier immer gern über Themen, die vom Babyalter noch weit entfernt sind.
Gute Noten sind was Feines, aber irgendwie haben sich die Erwartungen verschoben. Sowohl privat als auch beruflich habe ich immer mehr den Eindruck gewonnen, dass das Notenspektrum von 1-6 sich mittlerweile auf 1-3 verkleinert hat. War früher eine 3 eine absolut annehmbare Note und erst bei einer 4- wurden die Eltern nervös, ist heute eine 3+ für viele schon ein Grund, den Nachhilfelehrer anzurufen.
Aber warum machen wir uns und unseren Kindern mit den Schulnoten so einen Druck?
Drei Gedanken zu mehr Entspannung beim Umgang mit Schulnoten:

- Das einzige Zeugnis, was im späteren Leben (eventuell) zählt, ist das Abgangszeugnis. Alle Noten in den Jahren vorher geben einen Zwischenstand wider und haben nichts mit der Durchschnittsnote des Abschlusses zu tun (im Abi zählen dafür die Punkte der letzten zwei Jahre).
- Niemand kann alles und niemand muss alles können. Statt Druck zu machen und sich oder seine Kinder dazu zu zwingen, möglichst überall 1-2 zu stehen, macht es doch viel mehr Sinn, die Bereiche zu fördern, in denen man gut ist und an denen man Spaß hat, alles andere entspannt mitzunehmen und sich in den Fächern, die einem nunmal gar nicht liegen, eine 4 gönnen zu dürfen.
- In meinen 15 Jahren als Lehrerin an Gymnasium und Gesamtschule habe ich gemerkt, dass glückliche, selbstbewusste Kinder bzw. Jugendliche ganz von selbst vor dem Abschluss die Kurve kriegen, begreifen, dass der Abschluss nahe ist und plötzlich freiwillig reinhauen. Ich glaube, viel wichtiger als diese täglichen zermürbenden Auseinandersetzungen über Hausaufgaben, Noten, Faulheit usw. während der Pubertät ist Unterstützung. Loslassen. Vertrauen schenken.
Manchmal fällt es schwer, das zu glauben, aber auch und ganz besonders Pubertiere sind Menschen 😉 Sie sind in einer wahnsinnig schwierigen Phase. Der Körper verändert sich und man hat nicht viel Kontrolle drüber. Die Eltern werden schwierig, alle wollen was von einem. In der Klasse will man mithalten, cool sein, dazu gehören, man sucht sich einen Platz in der Welt und weiß doch gar nicht, wer man ist.

Druck macht da mehr kaputt als zu helfen. Ich bin selber Mama und weiß natürlich, wie es ist, sich Sorgen zu machen. „Wird mein Kind die Schule schaffen?“ „Wird es später einen guten Job bekommen?“
Aber wir sollten auch fragen „Wie geht es dir?“ „Wie kann ich dir helfen?“ „Was brauchst du grade?“ und öfter mal sagen „Du bist toll.“ Denn in dem ganzen verwirrenden Alltagsstress vergessen sie oft ihre Stärken oder vertrauen ihren Fähigkeiten und Talenten noch nicht. Und jeder Mensch hat mindestens ein Talent. Nicht immer ist das in der Schule sichtbar. Dafür gibt es Eltern, damit junge Menschen jemanden haben, der an sie glaubt, wenn alles andere zusammenstürzt. Vielleicht kann mein Kind besonders gut zuhören oder mit Tieren umgehen? Vielleicht ist es ein toller Babysitter oder hat ein mega musikalisches Talent?
Die beste Freundin meiner Tochter saß im Auto mit uns und hatte Angst davor, die Mathearbeit wiederzubekommen. Ich habe ihr gesagt:
Du bist ein warmherziges, kluges und intelligentes Mädchen. Jetzt, hier, um kurz vor acht am Montagmorgen. Und dasselbe warmherzige, kluge und intelligente Mädchen wirst du auch heute Mittag noch sein, wenn du aus der Schule kommst – egal, welche Note du haben wirst.
Wir denken oft, andere Kinder als unsere gingen uns nichts an, aber wir Erwachsenen können viel in einer kleinen Kinderseele ausrichten. Neulich erzählte mir meine Madame (ihr Stolz war sehr verletzt über ihre 3 in Deutsch): „Meine Freundin hat gesagt, ich soll nicht traurig sein über die 3, du würdest eh nicht schimpfen, denn du wärst eine wunderbare Frau.“
Genau. Herzchen.
Meine Madame hatte die 3 übrigens, weil sie statt zu lernen lieber Schlagzeug übt und ihr Zimmer dekoriert. Und ich lasse sie jeden Millimeter ihrer Kreativität ausleben, weil ihr diese Kreativität Wurzeln und Flügel verleiht. Wurzeln in einer Lebensfreude, die Deutscharbeiten nicht übermäßig ernst nimmt, und Flügel für ein Selbstwertgefühl, das sie später, wenn es soweit ist, fähig sein lässt, die richtigen Entscheidungen zu treffen – eventuell auch für Fleiß und Ordnung, man weiß ja nie.
Erfolgreiche, glückliche, selbstbewusste Menschen hatten nicht immer die besten Noten. Sie hatten Eltern, die sie gesehen haben, unterstützt haben und ihr ganzes Leben immer ein bisschen Fan waren 😉