1: Das Brautpaar als „literarische Helden“: Warum Geschichten erzählen so wichtig ist für eine wirkungsvolle Traurede
Der große Geschichtenerzähler Michael Ende sagte in einem seiner bekanntesten Bücher:
Jede wahre Geschichte ist eine unendliche Geschichte
Michael Ende
Wenn wir heiraten, ist das die Hoffnung auf eine unendliche Geschichte. Und Geschichten berühren uns, wir lieben Geschichten, können gar nicht genug davon bekommen, egal, ob durch erzählen, lesen oder Filme. Dabei wollen wir mit den Hauptfiguren mitfiebern, mit ihnen leiden, uns mit ihnen freuen, Spannung fühlen und uns mit ihnen weiterentwickeln.
Das Brautpaar ist natürlich ein mega spannendes Figurenteam in seiner eigenen Geschichte. Und die Hochzeitsgäste können so gut mit den beiden fühlen, weil sie sie so gut kennen und ihnen das Beste wünschen. Beste Voraussetzung also für tolle Geschichten!
2: Wie man die Emotionen des Publikums anspricht, um eine tiefere Verbindung herzustellen

Ich bin die Freie Rednerin auf der Hochzeit, nicht mehr und nicht weniger. Das ist mein Job. Aber natürlich bin ich mit dem Herzen dabei. Hochzeitszeremonien durchführen – das geht für mich nicht ohne Herz.
Und dass ich gerührt bin, dürfen gerne alle sehen, denn wir sitzen in einem Boot und wollen das Brautpaar feiern. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist bei Beerdigungen nicht anders, siehe mein Artikel „Machen Sie‘s lustig“. Und deshalb bringe ich die Hochzeitsgesellschaft gern zum Weinen;-), da gibt es viele Möglichkeiten:
- Die Schwester feiern, die nach langer Krankheit endlich wieder genesen ist und an der Hochzeit teilnehmen darf
- Die Eltern und Großeltern feiern, ohne die es das Brautpaar gar nicht gäbe
- Den Trauzeugen danken, die eine mega Party auf die Beine gestellt haben, obwohl sie drei Kinder und zwei Jobs haben
Nicht alle, aber viele Menschen freuen sich, wenn sie in der Zeremonie persönlich angesprochen und gefeiert werden, wie bei einer meiner Hochzeiten das Großelternpaar, das seit ungefähr 65 Jahren glücklich verheiratet war: Ich fragte die Dame: „Welchen Tipp können Sie dem Bräutigam denn geben, was hat Ihr Mann in den letzten 65 Jahren richtig gemacht?“ – Ihre Antwort: „Alles.“
Genau.
Tosender Applaus.
3: Beispiele, keine Jahreszahlen: Wie man die Geschichte unterhaltsam gestaltet
„Eine Geschichte erzählen“ meint natürlich nicht, wie im Geschichtsbuch tabellarisch die verschiedenen Meilensteine der Beziehung aufzuzählen. „Am ersten Februar in Wien haben sie sich kennengelernt, am zehnten Februar hatten sie ihr erstes Date im Café Krümel und schon nach zwei Tagen war ihnen klar, dass sie für immer zusammengehören.“
Euch ist gerade langweilig?
Mir auch.
Wenn interessieren Jahreszahlen.

Die Menschen interessieren uns, die Figuren, im besonderen die Protagonisten: Das Paar. Warum fand sie ihn am Anfang so sympathisch? Welche Tricks haben die Freunde angewendet, um beide miteinander zu verbandeln? Wonach schmeckt und duftet der Kuchen, mit dem sich Oma Hedwig in das Herz ihres zukünftigen Schwiegerenkels geschummelt hat?
Jeder der Gäste verbindet etwas mit dem Brautpaar, etwas Typisches: „Wenn sie in Urlaub fahren, hat er schon alles gepackt, während sie noch nichtmal aufgestanden ist.“ – „Auf dem Frühstückstisch darf das hartgekochte Ei nicht fehlen, ihr alle wisst, warum.“ Gemeinsames „Expertenwissen“ verbindet und macht die manchmal bunte zu einer homogenen „Wir für das Brautpaar“-Truppe.
Wenn zwei Menschen „Ja“ zueinander sagen, dann sagen sie auch ja zu ihrer Geschichte. „Ich kenne dich und deine Vergangenheit und liebe dich.“
Denn wie sagte Michael Ende auch:
Alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist verlorene Zeit.
Aus: Momo (Michael Ende)