Freude oder Perfektion?
Zeit sparen heißt es heutzutage, wie Michael Ende in seiner „Momo“ hellsichtig voraussagte, alles wird durchgeplant, auch die Freizeit, die Achtsamkeit, die Atempause. Und manche verwandeln sich dabei langsam in unglückliche Wesen, die nie zur Ruhe kommen, ständig glauben, aktiv sein zu müssen, an denen letztendlich das Leben vorbei rauscht, ohne dass sie auch nur eine Sekunde davon wirklich erlebt haben.
Für Beerdigungen nehmen sich die Menschen meist noch viel Zeit, da geht es um echte Gefühle, um echte Trauer, weniger um Äußerlichkeiten. Bei KiWis geht es schon mehr um eine schöne Party, bei der die richtige Deko, das perfekte Programm und hübsche Kleidung eine Rolle spielen. Ist ja auch schön, feiern soll schließlich Spaß machen 🙂 Doch besonders bei Hochzeiten beobachte ich einen zunehmenden Stresspegel. Auch bei Brautpaaren, die sich herzlich lieben und aus voller Seele Ja zueinander sagen wollen, erhöht sich immer öfter der Stresspegel, weil ja alles optimal vorbereitet sein soll. Die Sitzordnung muss stimmen, die Torte perfekt sein, die Musik der Hammer, und das Hochzeitskleid muss sowieso jeden umhauen.
Ich habe schon Brautpaare seufzen hören “ich bin froh, wenn der ganze Rummel vorbei ist“, dabei sollen sie sich doch auf einen der schönsten Tage in ihrem Leben freuen?
Den Moment genießen…
Ich rede nicht von Menschen, denen es Freude bereitet, ein „perfektes“ Fest (was immer das ist) vorzubereiten. Sondern von denen, die sich unter Druck setzen oder unter Druck gesetzt fühlen, ein perfektes Fest organisieren zu müssen.
Gerade in den oben genannten Zeremonien geht es doch um etwas anderes:
Innehalten. Den Moment genießen. Wir bemerken in KiWis, Hochzeiten und Beerdigungen, dass das Leben gerade STOP macht. Es holt tief Atem für einen neuen Abschnitt. Und dieses tiefe Atemholen wollen wir bewusst miterleben.
Wir sollten es mit Bedacht feiern. Mit allen Sinnen.
Und wir sollten auch Hochzeiten feiern mit echter Anteilnahme an der Freude und dem Glück des Paares. Ist doch völlig nebensächlich, wie die Torte schmeckt, oder ob das Kleid einen Riss hat. Wir feiern mit unseren Freunden / Verwandten deren Glück. Und solange wir das gesund und fröhlich tun können, haben wir mehr, als die meisten Menschen auf der Welt.
Perfektion liegt nicht in der Hand des Einzelnen, sondern in der Erwartungshaltung aller.
…gemeinsam
Und Zeit kann man verschenken. Michael Endes Momo saß manchmal stundenlang nur da und hörte anderen zu. Sie schenkte anderen ihre Zeit und wurde dadurch selbst beschenkt. Sie war glücklich. Mit einem Haufen Freunde und einem noch größeren Haufen Phantasie.
Für beides braucht man Zeit.
Schönheit, Klugheit, Heilung, Kunst, Musik, bahnbrechende Ideen und ihre Verwirklichung – sie entstehen und wachsen in der Stille und mit Zeit.
Weshalb feiern wir Hochzeiten, Beerdigungen und Kinderwillkommensfeste? Weil uns unsere Familien und Freunde wichtig sind und wir mit ihnen gemeinsam feiern wollen. Aber auch wir sind unseren Angehörigen wichtig, oder sollten es zumindest sein. Anstatt überzogene Erwartungen erfüllen zu wollen, könnte man sich von seinen Lieben helfen lassen. Beim Planen, beim Aussuchen. Wieviel Spaß kann solch eine Hochzeitsvorbereitung machen, wenn man echte Helfer hat.
„Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schaukeln.“
Astrid Lindgren
Wer Pippi Langstrumpf kennt, weiß, dass sie Recht hat.