„Bleib so, wie du bist!“ – das schreiben wir gern auf Geburtstagskarten. Damit zeigen wir dem Geburtstagskind, dass es für uns perfekt ist. Mit allen seinen Ecken und Kanten. Wir wollen denjenigen gar nicht anders haben.
Aber sagen wir das auch zu unseren Kindern?
Nee, irgendwie nicht. Die sollen ja nicht bleiben, wie sie sind. Die sollen wachsen, sich entwickeln, schlauer, schneller, größer werden. Dazu müssen wir sie schließlich erziehen.
Müssen wir?
ERziehen, GROSSziehen, AUFziehen… ziehen klingt nach Druck. Ich ziehe an etwas, was nicht mitkommen will. Am Backenzahn. Am Hund. Am Abschleppseil. Ich glaube ja, dass jeder Mensch als Rohdiamant auf die Welt kommt, der perfekte Kern ist schon da, und er sollte eben so bleiben wie er ist und nicht durch Ziehen, übersteigerte Erwartungen, Strenge und Ignoranz zerkratzt werden. Hier und da muss man ein bisschen polieren, mehr nicht.
Ich mag den Gedanken, die Persönlichkeiten der Kinder zu schätzen zu wissen, sie zu achten. Statt erziehen (schreckliches Wort) sollten wir sie begleiten, fördern, trösten, ihnen die Welt erklären.
Und Grenzen setzen. Natürlich sind Grenzen wichtig.
- mein Kind soll nicht bei 0 Grad im Dezember im Sommerkleidchen zur Schule gehen.
- mein Kind soll nicht bei rot über die Ampel preschen
- mein Kind soll andere nicht verprügeln
Aber statt mit Verboten oder Strafen (du ziehst dich jetzt um, basta / du darfst alleine nicht mehr raus) kommen wir viel weiter, wenn wir uns bemühen, das Kind in seinen Bedürfnissen zu sehen und ernstzunehmen..
- Warum ist das Kleid dir heute so wichtig?
- warum hattest du es so eilig, dass du jede Vorsicht außer Acht gelassen und dich und andere gefährdet hast?
- was hat dich so unter Druck gesetzt, dass du keinen anderen Ausweg mehr als Gewalt gesehen hast?
Manchmal kommen da überraschende Erkenntnisse zu tage. Vielleicht ist das Kind frisch verliebt und will mit seinem Lieblingskleid Eindruck schinden. Vielleicht hatte es Angst, zu spät zu kommen, vielleicht hat das andere Kind es seit Tagen gemobbt?
Und wenn man dann seinen Nachwuchs danach fragt, kommen oft sehr vernünftige Vorschläge.
- Vielleicht kann es ja in warmen Klamotten zum Kindergarten gehen und sich da umziehen?
- Vielleicht schaut man sich gemeinsam mit Mama oder Papa nochmal ein Verkehrssicherheitsvideo an und bespricht, dass Zuspätkommen immer noch besser ist als tot
- Vielleicht kann man mal gemeinsam mit den Eltern des anderen Kindes sprechen und eine Lösung finden.
Es geht nicht um Friedefreudeeierkuchen. Kinder müssen manchmal einfach auf die Eltern hören. Wenn ich drei davon habe, kann ich nicht jede einzelne Entscheidung durchdiskutieren und erklären.
Es geht mehr um das wie – begegne ich meinem Kind auf Augenhöhe und gebe ihm das Gefühl, grundsätzlich ernst genommen und gesehen zu werden, oder überfahre ich es wie in Laster mit meinen eigenen Vorstellungen.
Es gibt genug Erwachsene, die nicht selber denken können oder wollen, die Ängste haben, die sich nicht trauen, für sich einzustehen, die mit Fehlern nicht umgehen können, die sachliche Kritik nicht ertragen, weil sie sie mit persönlicher Verachtung verwechseln. Die aufgewachsen sind in der Gewissheit, nicht genug zu sein.
Lasst uns Kinder begleiten, die die fröhlichen, starken und empathischen Menschen bleiben, die sie schon sind, wenn sie zur Welt kommen.